Der Blick auf  Nietzsche erlaubt es, die Frage nach dem Verhältnis von “Schein” und Wahrheit neu aufzuwerfen und die Vorstellung vom subjektiven Charakter der Kunst aufzubrechen. Gerade  die scheinbar subjektive Kunst der Lyrik ist nicht bloß Ausdruck des Künstlers, sondern  in ihm spricht der “Rhythmus”, der Rhythmus, in dem sich dem Dichter ein Zug der Welt zugesprochen hat. Bei dem Wort “Ästhetik” denkt Nietzsche an das Verhältnis der Kunst zum “Leben”. In diesem Verhältnis fällt der Kunst die Verfassung des Scheins zu. Nietzsche sieht zum ersten mal wieder, daß sich in dieser Art des Scheins das Leben anfänglich, und immer wieder anfänglich, abspielt. Daß die Kunst auch nur 'Theater', nur 'Maske' als Ver-kleidung sein kann, gründet via negationis darin, daß sie zuerst das Kleid des Zeigens, das Theater des Aufscheinens ist. Dieser Doppelsinn von Kunst, von Schein ist Nietzsches Lebensstachel.

Nietzsche hat das Phänomen der Schönheit aus der Beziehung, in die es durch die Reflexion zum Wahren gesetzt war, befreit. Er sieht den Schönheitscharakter in Analogie zu den Merkmalen der Schönheit in der lebendigen Natur. Der schöne Schein der Kunst ist der Vollzug eines Überflusses in der Antwort auf einen Überfluß, Sprache von Dankbarkeit. Unter diesem Gesichtspunkt wird ein Merkmal des Schönen, das zumeist nur als Randerscheinung gilt, als ein Grundzug von Kunst erkennbar: der Schmuck-Charakter.
Ein befreiender Ansatz Nietzsches liegt in der Einsicht in den Ort der Kunst. Das Phänomen der Schönheit gehört dem Phänomen der Sprache zu. Sprache nicht als Information über Tatbestände verstanden, sondern als das, was den Menschen zum Menschen macht. Wo es so etwas wie Dinge überhaupt erst gibt.

Kunst, Schein, das ist in der neuzeitlichen Ästhetik in jedem Fall nicht die Wahrheit. Spiel ist, wie lobenswert pädagogisch es auch ist, nicht schon selber das, weshalb man es lobt, nämlich den Ernst des Daseins erträglich zu machen oder in das Schwere der Wirklichkeitsbewältigung einzuüben. Wo jemand das Spiel zur Hauptsache machen will, setzt er sich dem Vorwurf aus, Ästhet zu sein. Kein Philosoph ist von diesem Vorwurf schwerer getroffen als Kant.